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Titel
Der Bischof stirbt. Zu Form, Funktion und Vorstellung bischöflicher Sterbeberichte (6.-12. Jahrhundert)


Autor(en)
Weber, Matthias
Reihe
Orbis mediaevalis
Erschienen
Göttingen 2023: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
663 S.
Preis
€ 85,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mike Janßen, Drittmittelservice und Projektmanagement, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Tod und Sterben sind in der Mediävistik seit dem Ende der 1960er-Jahre ein vieluntersuchtes Forschungsfeld. Standen zunächst meist die Grablegen, Beisetzungen und Memorialbräuche der Herrschenden im Fokus der Untersuchungen, legte Romedio Schmitz-Essers Habilitationsschrift von 2014 den Blick ganz plastisch auf den Körper der Verstorbenen.1 Die jüngst erschienenen Monografien von Manuel Kamenzin 2020 und Mike Janßen 2021 untersuchten hingegen die narrativen Strategien in der Überlieferung der Herrschertode.2 Sie fragen nach der causa scribendi der zeitgenössischen Geschichtsschreibung. Warum verfassten die Historiographen dieses oder jenes und auch Widersprüchliches über das Sterben der Mächtigen? Dieser Frage geht ebenfalls Matthias Weber in seiner Dissertation „Der Bischof stirbt“ nach. Die Spannung in der Geschichte des Todes liege eben in der Differenz von Norm und Faktum, also den zeitgenössischen Vorstellungen des Sterbens und dem tatsächlichen Tod, so Weber, der den Blick auf die Bischöfe richtet. Bischöfe seien von Beginn des Mittelalters in den Quellen präsent und verkörperten wie kaum eine andere Gruppe die Werte und Ideale ihrer Zeit (S. 44f.). Geographisch bewegt sich Webers Untersuchung anfänglich im Frankenreich und endet im hochmittelalterlichen ostfränkisch-deutschen Reich. Webers Anspruch ist es, über den eigentlichen Akt des Sterbens hinaus, eine sieben Jahrhunderte umfassende Studie zur Wahrnehmung und Verarbeitung der Ereignisse durch die Autoren und somit auch über das Bischofsamt an sich vorzulegen (S. 50).

Webers 540 Seiten starke Studie (ohne Verzeichnisse) gliedert sich in zehn Kapitel, wobei die ersten fünf Kapitel als Hinführung zum eigentlichen Hauptteil der Arbeit verstanden werden können (S. 13–129). Alle Kapitel, abgesehen von den Kapiteln „1 Einleitung“, „2 Forschungsstand“ und „10 Ergebnisse“ werden mit einer kurzen Zusammenfassung abgeschlossen. Der Hauptteil (S. 131–532), welcher die Kapitel 6 bis 9 umfasst, ist ein streng chronologischer Ritt durch die Quellen des Mittelalters, beginnend mit den Decem libri historiarum Gregors von Tours im 6. und endend mit der Chronik Ottos von Freising im 12. Jahrhundert. Weber beschränkt sich dabei nicht auf historiographische Werke. Diesen werden der Chronologie entsprechend auch Hagiographie, Visionsliteratur, Gesta Episcoporum sowie zeittypische Ausformungen des Totengedenkens wie die karolingischen ordines defunctorum oder die Libri Memoriales beiseitegestellt. Allen untersuchten Schriften geht eine ausführliche Quellenkritik voran. Dem Inhaltlichen Teil folgt ein Abkürzungs-(S. 541–542), Quellen-(S. 543–556), Regesten-(S. 557–558) und Literaturverzeichnis (S. 558–638), sowie ein hilfreiches und umfangreiches Personen- und Ortsregister (S. 639–663).

An Einleitung (Kapitel 1) und eine umfangreiche Darlegung des Forschungsstandes (Kapitel 2) anschließend, gibt Weber einen Überblick zu antiken und frühchristlichen Todesvorstellungen. Er referiert ausgehend von der griechischen und römischen Philosophie über Tod und Auferstehungsgedanke im Alten- wie Neuen Testament (Kapitel 3) gefolgt von Ausführungen über die Kirchenväter Ambrosius von Mailand, Augustinus von Hippo und Gregor dem Großen (Kapitel 4), ehe im fünften Kapitel idealtypische Sterbefälle thematisiert werden, welche den Autoren der folgenden Jahrhunderte als Schablone für die Beschreibung des guten Todes dienen sollten. Allen voran seien hier die Überlieferung des Sulpicius Severus zum Tode Martins von Tours und die Transitus-Berichte über das Sterben Marias zu nennen, deren Rezeption bereits bei Gregor von Tours zu finden sind.

Dessen Werk ist es auch, das im Zentrum des sechsten Kapitels untersucht und als „erster Höhepunkt“ bischöflichen Sterbens in der Historiographie bezeichnet wird. Das beziehe sich nicht nur auf die Quantität beschriebener Bischofstode, sondern auch auf die Rolle, die dem Bischof in diesem Werk angedacht werde. Das mag wenig verwundern, zählte sich Gregor schließlich selbst zu dieser Gruppe. Bischöfe erführen hier grundsätzlich keinen schlechten Tod. Doch nicht nur Bischöfe sterben in Gregors Geschichtswerk: Die oftmals schlechten Tode von Priestern und Angehörigen der merowingischen Dynastie seien denen der Bischöfe kontrastierend gegenübergestellt worden. Die Bischöfe würden dadurch umso mehr erhöht und in besondere Nähe zu den Heiligen gerückt (S. 236). Werde dem Bischofstod in Gregors Historien eine zentrale Rolle zugewiesen, scheine dieser in der jüngeren merowingischen Geschichtsschreibung kaum noch eine Rolle gespielt zu haben. Eine Entwicklung, die sich in den folgenden Jahrhunderten fortsetzen sollte, weshalb Weber im siebten Kapitel vom „Verschwundenen Bischofstod“ spricht. Weber führt dies auf die Zentrierung einer „karolingische Aufstiegsgeschichte“ zurück, in der es kaum Raum für die Bischöfe gegeben habe (S. 253).

Aus dem „lauten Schweigen“ über den Tod der Bischöfe in dieser Zeit schlussfolgert Weber eine entsprechende geringwertigere Rolle des Bischofs in der mittelalterlichen Gesellschaft. Ausnahmen bildeten hier nur die von Bischöfen verfassten Annales Bertiniani und die Annales Fuldenses (S. 276). Letztgenannte legten besonderes Augenmerk auf den memorialen Wert und vermerkten erstmals die konkreten Todestage der verstorbenen Bischöfe. Weber weist zurecht auf das gesteigerte Bedürfnis des Gebetsgedenkens in der Mitte des 9. Jahrhunderts hin, von dem auch die in dieser Zeit entstandenen Libri Memoriales zeugten (S. 311). Erst mit den Quedlinburger Annalen und der Chronik Thietmars von Merseburg im beginnenden 11. Jahrhundert sei ein erneutes Interesse am Bischofstod zu beobachten. Thietmars „bischöfliche Solidarität“ resultiere in durchweg positiven Sterbedarstellungen (S. 397).

Der „Wiederentdeckung des Bischofstods“ im beginnenden 11. Jahrhundert folge eine weitestgehend uneinheitliche Berichterstattung in salischer Zeit. Während Adam von Bremens Hamburgische Kirchengeschichte nahezu lückenlos und genau datiere, den Tod sämtlicher Metropoliten aufführe, finde sich bei Hermann von Reichenau kaum ein Interesse an der Schilderung bischöflicher Todesfälle (S. 433). In der Zeit des Investiturstreits sei besonders Lampert von Hersfeld hervorzuheben, dessen Annalen gespickt mit kontrastierenden Todesfällen seien (S. 528). Auch finden hier viele Bischöfe einen unüblich schlechten Tod, was mit Herrmanns Ablehnung Kaiser Heinrichs IV. und somit auch „dessen“ Bischöfen zu begründen sei. Otto von Freisings Werk, mit dem Webers Untersuchung endet, zeugt erneut von großem Schweigen über den Tod der Bischöfe.

Weber resümiert, dass Mittelalterliche Historiographie eben nicht aus einem Selbstzweck heraus verfasst worden sei. Sie teile nicht nur vergangene Ereignisse mit, sondern war stets auch Argument in aktuellen Auseinandersetzungen, die nicht zuletzt auch die (Selbst-)Wahrnehmung der Bischöfe widerspiegele (S. 538).

Weber zeichnet insgesamt ein sehr heterogenes Bild, wie mit dem Tod des Bischofs in Geschichtsschreibung umgegangen worden sei. Es scheint, als seien vielfach die Eigenarten und Vorlieben des Autors ausschlaggebend, ob und wie ausführlich über den Bischofstod berichtet wurde. Deswegen sind manche generelle Feststellungen Webers, ob und inwieweit dies die tatsächliche Stellung des Bischofs widerspiegelte, mit Vorsicht zu genießen. Auch werden Bischöfe oft nur im regionalen oder familiären Kontext von den Historiographen erwähnt. Zu Beginn seiner Studie fragt Weber nach den Bestattungen bzw. Bestattungsorten der Bischöfe, leider ohne darauf weiter nennenswert einzugehen (S. 43f.). Verglichen mit den Sterbedarstellungen der Kaiser und Könige des Mittelalters3 werden die der Bischöfe in der Regel weit weniger ausführlich in den Quellen beschrieben. Bis auf wenige Ausnahmen sterbe der Bischof neutral oder gut. Weber spricht vom „qualitativen“ versus „neutralen Tod“ einer oft anonymisierten Gruppe, stellt dabei richtig fest, dass auch die kürzesten Todesanzeigen der Memoria der Verstorbenen dienten und entsprechend positiv zu deuten seien (S. 454). Die streng chronologische Vorgehensweise und dem starren Festhalten daran, jede Quelle ausführlich vorzustellen, ist mitunter für den Leser etwas ermüdend, besonders wenn sich dann herausstellt, dass die eben besprochene Quelle gar keinen Bischofstod beinhaltet.

Das soll die Leistung Webers aber in keiner Weise schmälern, der hier eine profunde Studie vorgelegt hat und eine Lücke in der Forschung zu Thema Tod und Sterben im früheren Mittelalter schließt. Matthias Weber behandelt in seiner Studie darüber hinaus das mittelalterliche Episkopat als auch die Geschichte der Geschichtsschreibung selbst und geht somit weiter, als nur zu fragen, wie „Der Bischof stirbt“.

Anmerkungen:
1 Beispielhaft zur Thematik Grablege und Memoria sei auf zwei Untersuchungen Oexles und Meiers verwiesen: Otto Gerhard Oexle (Hrsg.), Memoria als Kultur (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 121), Göttingen 1995; Thomas Meier, Die Archäologie des mittelalterlichen Königsgrabes im christlichen Europa (Mittelalter Forschungen 8), Stuttgart 2002. Romedio Schmitz-Esser, Der Leichnam im Mittelalter. Einbalsamierung, Verbrennung und die kulturelle Konstruktion des toten Körpers (Mittelalter-Forschungen 48), Ostfildern 2014.
2 Manuel Kamenzin, Die Tode der römisch-deutschen Könige und Kaiser (1150–1349) (Mittelalter Forschungen 64), Ostfildern 2020; Mike Janßen, Wie das Leben so der Tod – Sterbedarstellungen von Kaisern und Königen in der Historiographie des früheren Mittelalters (Studien zu Macht und Herrschaft 4), Göttingen 2021.
3 Siehe hierzu die Arbeiten von Kamenzin, Die Tode, und Janßen, Wie das Leben.

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